Protest in der Schule – Was der Gothaer Bundeswehr‑Fall zeigt

Was geschah am 4. April 2025?

Die Fachschule für Bau, Wirtschaft und Verkehr in Gotha lädt jedes Frühjahr Firmen, Institutionen und Behörden zu ihrer Messe CONNECT ein. Zwischen lokalen Bauunternehmen, Banken und Start‑ups baut diesmal auch die Bundeswehr ihren Karriere‑Stand auf. Gegen neun Uhr tauchen zwei Fachschüler auf, beide volljährig und bekannt für ihr ausgeprägtes Interesse an Friedenspolitik. Sie verteilen pinke Luftballons und Flugblätter der Deutschen Friedensgesellschaft, suchen das Gespräch mit den Soldatinnen und Soldaten und rollen schließlich ein Banner mit der Aufschrift „Bildung statt Bomben“ aus. Wenige Minuten dauert dieser spontane Auftritt.

 

 

Zwei Wochen später, am 23. April 2025, liegt den Schülern ein Bescheid auf dem Tisch: sechs Tage Ausschluss vom Präsenzunterricht. Die Schule verpflichtet sie, in dieser Zeit online zu arbeiten – ein Mittel, das das Thüringer Schulgesetz seit der Pandemie ausdrücklich zulässt. Als Begründung heißt es, der Schulfrieden sei „bewusst und wiederholt“ gestört worden; schon im Vorjahr habe es eine vergleichbare Aktion gegeben. Gegen die Entscheidung können die Betroffenen bis zum 23. Mai 2025 Widerspruch einlegen.

Das rechtliche Spannungsfeld

Im Schulrecht prallen zwei Grundideen aufeinander. Da ist zum einen die Pflicht der Schule, Unterricht und Veranstaltungen in geordneten Bahnen zu halten. Zum anderen garantiert § 26 des Thüringer Schulgesetzes – gestützt auf Artikel 5 Grundgesetz – allen Schülerinnen und Schülern das Recht, ihre Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern. Ergänzend regelt § 56 Abs. 3 Satz 3 ThürSchulG, dass Werbung und politische Sammlungen in der Schule nur unter bestimmten Bedingungen zulässig sind, also weder Unterricht noch Schulfrieden nachhaltig stören dürfen. – gestützt auf Artikel 5 Grundgesetz – allen Schülerinnen und Schülern das Recht, ihre Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern. Wird Kritik friedlich vorgebracht und verletzt sie weder Ehre noch Gesetz, muss die Schule sie grundsätzlich aushalten.

 

Der Begriff, auf den sich Schulleitungen in konfliktträchtigen Situationen gern berufen, lautet Schulfrieden. Das Gesetz umschreibt ihn nicht näher, Gerichte deuten ihn als das Klima, in dem Unterricht und Zusammenleben ohne Angst, Gewalt oder massive Störungen möglich sind. Eine kurze, symbolische Protestaktion wie in Gotha kann den Ablauf einer Messe zwar irritieren, stellt aber nicht automatisch eine Gefahr für den Schulfrieden dar. Entscheidend ist die Intensität: Wurde der Stand blockiert? Konnte niemand mehr mit den Soldaten sprechen? Drohte Gewalt? Nach bisher bekanntem Ablauf scheint all das eher nicht der Fall gewesen zu sein.

War die Strafe verhältnismäßig?

Der Unterrichtsausschluss ist die schärfste Maßnahme, die eine Schulleitung noch selbst verhängen darf, bevor das Schulamt eingeschaltet werden muss. Er ist laut Gesetz nur zulässig, wenn mildere Mittel – etwa eine Ermahnung oder ein schriftlicher Verweis – offensichtlich nicht genügen. § 51 Abs. 4 ThürSchulG verlangt zudem vorab eine ausdrückliche Androhung, es sei denn, ein sofortiges Eingreifen ist unumgänglich. – etwa eine Ermahnung oder ein schriftlicher Verweis – offensichtlich nicht genügen. In Gotha legt die Schule viel Gewicht auf „Wiederholung“: Schon 2024 habe es einen ähnlichen Protest gegeben. Ob die damalige Aktion geahndet oder klar untersagt wurde, ist jedoch unklar. Fehlt eine dokumentierte Vorwarnung, wirkt der unmittelbare Griff zum sechstägigen Verweis überzogen.

Formell muss außerdem eine Klassenkonferenz tagen, die Maßnahme beschließen und die Schüler anhören. Wird das Verfahren nicht sauber eingehalten – etwa weil die Androhung fehlte oder das Protokoll lückenhaft ist – ist der Bescheid schon aus diesem Grund rechtswidrig. Diese formellen Aspekte werden häufig unterschätzt, entscheiden aber vor Gericht regelmäßig den Ausgang.

Widerspruch trotz erledigter Maßnahme – lohnt sich das?

Ja. Auch wenn der Ausschluss wohl am 30. April 2025 verbüßt sein wird, können die Schüler noch bis zum 23. Mai 2025 Widerspruch einlegen. Die Verwaltungsgerichte erkennen hier ein sogenanntes Rehabilitationsinteresse: Ein Disziplinarvermerk bleibt in der Schulakte und taucht bei künftigen Ordnungsmaßnahmen erneut auf. Nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO kann das Gericht die Rechtswidrigkeit eines bereits erledigten Verwaltungsakts feststellen und so die Rehabilitierung sichern. Wer klären lässt, dass die Sanktion rechtswidrig war, hat Anspruch auf Löschung – und kommt nicht als „Wiederholungstäter“ in eine schlechtere Ausgangsposition.

 

Hinzu kommt die grundrechtliche Dimension. Wo die Meinungsfreiheit betroffen ist, darf staatliches Handeln nicht einfach folgenlos bleiben. Wird gerichtlich festgestellt, dass eine Schule über die Stränge schlug, wirkt das über den Einzelfall hinaus: Schulleitungen werden sensibler, die Kriterien für einen Einsatz des Disziplinarrechts schärfen sich, und Schülerinnen und Schüler wissen genauer, welche Formen des Protests zulässig sind.

Warum der Fall wichtig bleibt

Der Protest in Gotha ist kein Einzelfall. Immer wieder ringen Schulen mit der Frage, wie viel politische Aktion sie vertragen. Ob Fridays‑for‑Future‑Sticker, Regenbogenflagge am Schultor oder Debatten um militärische Werbung – überall geht es um denselben Kernkonflikt: Wie verbindet man das verfassungsrechtliche Neutralitätsgebot des Staates mit lebendiger politischer Bildung?

 

Schulen sind keine demokratiefreien Zonen. Ihr Auftrag ist nicht nur Wissensvermittlung, sondern auch die Erziehung zu selbständigem Denken und Zivilcourage. Wer das ernst nimmt, muss politische Kontroverse zulassen, solange sie friedlich bleibt. Die Kehrseite ist klar: Wo Aktionen Unterricht lahmlegen, Mitschüler einschüchtern oder gesetzliche Grenzen überschreiten, darf und muss die Schule eingreifen. Das Mittel der Wahl sollte aber stets das mildeste sein, das den Schulfrieden wiederherstellt.

Fazit

Der sechstägige Präsenzverweis gegen die Gothaer Fachschüler wirft mehr Fragen auf, als er beantwortet. Ob die Maßnahme rechtlich standhält, hängt vor allem an zwei Punkten: Wurde der Schulfrieden tatsächlich so stark beeinträchtigt, dass erst ein Ausschluss für Ruhe sorgen konnte? Und hat die Schule alle vorgeschriebenen Verfahrensschritte eingehalten? Insgesamt ist das stark zu bezweifeln.

 

Die Betroffenen haben gute Gründe, die Angelegenheit rechtlich klären zu lassen. Ein erfolgreicher Widerspruch würde nicht nur ihre eigene Akte reinigen; er würde auch ein Zeichen setzen, dass Grundrechte – gerade in der Schule – ernst genommen werden müssen. Für alle Beteiligten, Lehrer wie Lernende, bleibt die Lehre: Demokratie lebt vom Streit. Wer ihm Raum gibt, braucht starke Nerven, aber er gewinnt eine lebendige, lernfähige Schulgemeinschaft.