Rechtsverstöße bei Online-Klausuren

Probleme bei Fernklausuren und Online-Prüfungen

Wir möchten hier die rechtliche Angreifbarkeit von Online-Prüfungsleistungen erörtern. Unserer Kanzlei sind inzwischen diverse Fälle bekannt, bei denen die konkrete Ausgestaltung von Online-Prüfungen als rechtswidrig anzusehen ist. Da die Ausgestaltung von Hochschule zu Hochschule variiert, ist jeder Fall grundsätzlich gesondert zu betrachten. Dennoch liefert dieser Beitrag einen ersten Überblick.

 

Die Ausführungen sind auch auf private Hochschulen übertragbar. Im Hinblick auf Prüfungen nehmen sie staatliche Befugnisse wahr, indem sie als sogenannte Beliehene handeln. Sinngemäß sind die Inhalte darüber hinaus auch auf Online-Prüfungen anderer Bildungseinrichtungen übertragbar.

1. Grundlagen des Prüfungsrechts - natürlich auch bei Online-Prüfungen zu berücksichtigen!

Ob eine Leistungsbeurteilung rechtmäßig ist, ist anhand von verschiedenen Aspekten festzustellen. Die Frage inwieweit Ergebnisse beziehungsweise Antworten des Prüflings zutreffend gewertet wurden, ist genauso wie bei regulären Prüfungen zu beantworten. Insoweit werden diese Aspekte hier bloß der Vollständigkeit halber benannt:

 

  • Bei der Leistungsbewertung ist von zutreffenden Tatsachen auszugehen.
  • Es sind anerkannte Bewertungsmaßstäbe zugrunde zu legen.
  • Die Bewertung muss frei von sachfremden Einflüssen sein.
  • Vertretbare Lösungen dürfen nicht als falsch bewertet werden.

 

Bei Online-Prüfungen stellt sich insbesondere die Frage, inwieweit von einem ordnungsgemäßen Verfahren auszugehen ist. Diese Anforderung ist auf das Gebot der Chancengleichheit zurückzuführen, welches aus Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 12 Absatz 1 GG abgeleitet wird.

 

Es besagt, dass für alle Teilnehmer vergleichbarer Prüfungen so weit wie möglich gleiche Prüfungsbedingungen und Bewertungsmaßstäbe gelten müssen. Bevorzugungen und Benachteiligungen einzelner Teilnehmer und Teilnehmergruppen müssen vermieden werden, um gleiche Erfolgschancen zu gewährleisten (BVerwG, Urt. v. 10.04.2019 – 6 C 19.18).

 

Da es sich um Verfassungsrecht handelt, müssen gegebenenfalls bereits angepasste Bestimmungen aus den Prüfungsordnungen der Universitäten etc. dieser Vorgabe entsprechen. Sie haben das Gebot zu konkretisieren und dürfen ihm nicht zuwiderlaufen.

 

Dies gilt auch für Online-Klausuren, welche zu Zeiten von Corona abgehalten werden. Eine zentrale Vorgabe des Gebotes besteht darin, dass Täuschungen durch Prüflinge möglichst effektiv zu unterbinden sind.

 

Täuschungen führen nach ständiger Rechtsprechung zu einer deutlichen Beeinträchtigung der Chancengleichheit, da sich unredliche Prüflinge gegenüber anderen Prüflingen einen ungerechtfertigten Vorteil verschaffen (OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 07.11.2011 – 10 N 21.09 m.w.N.). Insoweit sind sie durch geeignete Prüfungsverfahren möglichst umfassend zu verhindern. 

2. Überwachung der Online-Klausuren

Damit es nicht zu Täuschungen durch Prüflinge kommt, die dem Grundsatz der Chancengleichheit zuwiderlaufen, wird vielfach eine technische Überwachung genutzt. Diese erfolgt oftmals durch Videoüberwachung mittels Webcams von den Laptops der Studierenden. Daneben ermöglichen Softwarelösungen für die Prüfungen ein Nachverfolgen aller Handlungsschritte, die im Zuge der Prüfung an dem eingesetzten Laptop vorgenommen werden.

 

Da es sich um massive Eingriffe in die Grundrechte der Studierenden handelt, empfiehlt es sich, von solchen beaufsichtigten Online-Klausuren abzusehen.

 

Sollte dennoch nicht von einer entsprechenden Überwachung abgesehen werden, sind die Vorgaben der DSGVO einzuhalten. Nach Art. 5 Abs. 1 DSGVO besteht der Grundsatz, dass nur die geringstmögliche Menge an Daten erhoben werden darf, um den Zweck der Datenverarbeitung – hier Abhalten einer Prüfung, die dem Gebot der Chancengleichheit genügt – zu erreichen. Weiterhin sind etwa die datenschutzrechtlichen Informationspflichten einzuhalten.

 

Die Hochschulen müssen Online-Prüfungen auf datenschutzkonforme Weise überwachen und sind verpflichtet, von einer Überwachung Abstand zu nehmen, wenn diese nicht datenschutzkonform möglich ist.

3. Keine Chancengleichheit bei „Open Book“ Klausuren

Aktuell ist zu beobachten, dass Hochschulen datenschutzrechtliche Probleme teils umgehen wollen, indem sie sogenannte „Open Book“ Klausuren ohne technische Überwachung anbieten. Bei ihnen dürfen die Studierenden Hilfsmittel wie Lehrbücher und Mitschriften benutzen.

 

Es wird eine Situation geschaffen, die eine Nähe zur beruflichen Praxis aufweist. Dabei kommt es tendenziell eher auf ein Verständnis und nicht auf auswendig gelerntes Wissen an. Nicht erlaubt ist regelmäßig die Kooperation mit anderen Studierenden, die Hinzuziehungen von externen Helfern und die wörtliche Übernahme von fremden Texten.

 

Wenn allerdings die Hilfe durch Dritte grundsätzlich nicht effektiv unterbunden werden kann und diese als Täuschungshandlung zu qualifizieren ist, wird das Gebot der Chancengleichheit verletzt. Inzwischen müssen aus diesem Grund komplette Prüfungen wiederholt werden. Erste Entscheidungen von Verwaltungsgerichten lassen vermuten, dass dies rechtmäßig ist: Wiederholung von Open-Book-Klausuren wegen Verfahrensfehlern

 

Sofern keine effektive Kontrolle – durch Softwarelösungen und Videoüberwachung – erfolgt, werden redliche Prüfungsteilnehmer der Gefahr ausgesetzt, im Vergleich zu unredlichen Prüfungsteilnehmer schlechter bewertet zu werden. Die Überwachung ist – wie zuvor kurz dargestellt – aus datenschutzrechtlichen Gründen allerdings oft unzulässig.

 

Unsere Kanzlei hält Online-Klausuren auch vor dem Hintergrund für bedenklich, dass es von finanziellen Möglichkeiten und persönlichen Beziehungen abhängt, inwieweit zu Prüfende unzulässigerweise auf fremde Expertise zurückgreifen können. Wenngleich diesem Umstand im Rahmen einer rechtlichen Bewertung eine untergeordnete Rolle beigemessen werden mag, halten wir ihn für problematisch. Immerhin wird so tendenziell soziale Ungleichheit perpetuiert.  

 

Zudem kann die veränderte inhaltliche Ausrichtung der Prüfungen relevant sein. Wurde die Lehre nicht auf die veränderte Prüfungssituation angepasst, was zur Folge hat, dass die Prüfungen schwieriger zu bewältigen sind, kann hierin gegebenenfalls eine Ungleichbehandlung im Vergleich zu vorherigen Jahrgängen erblickt werden.

 

Da die betreffenden Personen an dem selben Arbeitsmarkt partizipieren, kann dieser Umstand durchaus virulent sein. Abhilfe könnte durch eine intensivere Prüfungsvorbereitung der Universitäten geschaffen werden. Wenn Prüfungen in der Vergangenheit allerdings durch bloßes Auswendiglernen zu bestehen waren, sind Open Book Klausuren demgegenüber trotzdem als anspruchsvoller anzusehen.

4. Technische Ausstattung und Infrastruktur bei Online-Prüfungen

Weitere Probleme im Hinblick auf die Chancengleichheit können durch technische Faktoren bedingt werden. Es dürfte allgemein bekannt sein, dass die Zuverlässigkeit und Geschwindigkeit von Internetzugängen je nach Region erheblich variiert. Aktuell wird die vermehrte Nutzung von digitalen Lösungen (z.B. Homeoffice). Zu einer stärkeren Auslastung führen. Dies kann bei Verzögerungen zum einen zu einer verspäteten Abgabe führen.

 

Selbst wenn etwa telefonisch hierauf hingewiesen werden kann und gewisse Überschreitungen von Hochschulseite toleriert werden, ist diese Lösung fragwürdig, da sie es unredlichen Prüflingen gestattet, sich unter diesem Vorwand mehr Zeit zu verschaffen. Das Änderungsdatum von Dateien ist durchaus manipulierbar.

 

Darüber hinaus wird der Ausfall des Systems – auch durch den Abbruch der Internetverbindung verursacht – teils als Täuschungsversuch gewertet, da in dieser Zeit unerlaubte Hilfsmittel etc. genutzt werden könnten.

 

Auch verfügt nicht jeder Student über eine ausreichende technische Ausstattung beziehungsweise die Mittel, sie sich anzuschaffen oder kostenpflichtig zu mieten. Bei einer kostenfreien Überlassung tragen die Studenten das Risiko von Beschädigung und Verlust. 

5. Einwilligung bei Online-Prüfungen

Teils werden Einwilligungen der Studenten als Vorgehensweise empfohlen, damit Studenten gehindert werden, gegen einige der zuvor thematisierten Verfahrensmängel rechtlich vorgehen zu können. Dies wird mit § 242 BGB – die Norm gilt grundsätzlich auch im Öffentlichen Recht – begründet, der im Falle einer Einwilligung einer Anfechtung der Prüfungsleitung entgegenstehen soll.

 

Es soll quasi ein treuewidriger Selbstwiderspruch bestehen, wenn zunächst in eine entsprechende Prüfungsform eingewilligt wird und anschließend doch Rechtsmittel genutzt werden.

 

So pauschal lässt sich dieser Ansatz allerdings nicht halten. Immerhin besteht hier ein Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen Hochschule und Student. Wenn er die Prüfung ansonsten erst später oder zu sonst ungünstigeren Bedingungen (späterer Termin auch geringfügig höhere Gefährdung der Gesundheit durch Teilnahme an alternativer Präsenzprüfung) quasi eingehen muss, spricht dies gegen eine wirksame Einwilligung.

 

Unabhängig von einer solchen Einwilligung ist die Exekutive – hier die Hochschulverwaltung – gemäß Artikel 20 Abs. 3 GG verpflichtet, dem Gesetz entsprechend zu handeln. Der Umstand, dass eine Einwilligung besteht, kann Rechtsverstöße deshalb tendenziell nicht beseitigen.

 

Anders verhält es sich bloß, wenn die identischen Aufgaben zum gleichen Zeitpunkt im Rahmen einer Präsenzprüfung bearbeitet werden dürfen. Wie verhält es sich in diesem Fall allerdings, wenn der Prüfling zu der sogenannten Covid-Risikogruppe gehört? Selbst vermeintlich schlüssig wirkenden Lösungsansätze der Universitäten überzeugen bei näherer Betrachtung regelmäßig nicht mehr.

 

Schließlich kommt es auch darauf an, wie eine Einwilligung ausgestaltet wurde. Wird explizit und deutlich wahrnehmbar auf die rechtlichen Konsequenzen hingewiesen? Zu welchem Zeitpunkt ist die Einwilligung zu erteilen?

 

Sollte dies erst kurz vor der Prüfung erfolgen, kann aufgrund der Gesamtumstände nicht mehr von einer freiwilligen Handlung ausgegangen werden. Zumal es fraglich erscheint, ob ein Prüfling dem Inhalt kurz vor einer Prüfung überhaupt hinreichend Beachtung schenken kann. Kommt ein Rücktritt in Betracht, wenn die Einwilligung abgelehnt wird?

6. Vorbehalt des Gesetzes bei Online-Prüfungen

Grundlegend für die rechtmäßige Durchführung von Online-Klausuren ist weiterhin, dass der Vorbehalt des Gesetzes, der aus Artikel 20 Absatz 3 GG und den Grundrechten abgeleitet wird, gewahrt ist. Dieser besagt, dass für jede Maßnahme der Exekutive, die in Grundrechte eingreift, eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage vorhanden sein muss.

 

Die jeweils einschlägige Prüfungsordnung muss also eine rechtliche Grundlage für das Abhalten von Online-Prüfungen enthalten. Diese muss wiederum einigen Anforderungen gerecht werden. Es ist davon auszugehen, dass dies aktuell oftmals noch nicht der Fall ist.

7. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei Online-Prüfungen

Es wurde dargelegt, dass Online-Klausuren – unabhängig von ihrer Ausgestaltung – in Grundrechte der Prüflinge eingreifen. Der aus Verfassungsrecht abzuleitende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besagt unter anderem, dass mit staatlichen Maßnahmen ein legitimer Zweck verfolgt werden muss.

 

Dieser besteht aktuell zuvörderst darin, Studenten trotz Corona und den damit verbundenen Sorgfaltspflichten die Ablegung von Prüfungen zu ermöglichen. Künftig mag es vielleicht auch darum gehen, eine (vermeintlich) effektivere Möglichkeit anzubieten, Prüfungen zu absolvieren.

 

Nun muss die Maßnahme allerdings unter anderem erforderlich sein. Dies ist dann der Fall, wenn keine alternativen Möglichkeiten bestehen, das Ziel der Maßnahme zu erreichen, welche zu geringeren Eingriffen in die Rechte der Betroffenen führen.

 

Eine Alternative ist in der Abhaltung von Präsenzprüfungen zu erblicken, bei der die Studenten auf eine angemessene Anzahl an Räumen verteilt werden. Als Aufsichten können Hilfskräfte hinzugezogen werden. Das fiskalische Bemühen Ausgaben zu reduzieren rechtfertigt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedenfalls generell keine Ungleichbehandlung (BVerfGE 75, 40 (72)).

 

Alternativ kann die Eingriffsintensität auch durch die Zurverfügungstellung geeigneter Technik und Software reduziert werden.

8. Zukunft der Online Prüfungen

Es ist davon auszugehen, dass die Hochschulen aus der Not eine Tugend machen werden und auch nach der Pandemie zu einem gewissen Grad an Online-Prüfungen festhalten wollen. Indes ist zu bezweifeln, dass sie sich aktuell hinreichend auf eine Prüfung ihrer Lösungen durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit vorbereitet haben.

 

Sollten Sie Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Online-Klausur etc. haben, dann prüft die Rechtsanwaltskanzlei Holstein den Vorgang gerne für Sie und übernimmt abhängig von der Einschätzung eine Anfechtung.