Das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) hat kürzlich eine Entscheidung zu Open-Book-Klausuren getroffen. Es vertritt den Standpunkt, dass eine fehlende Prüfungsaufsicht bei Fernprüfungen ein Verfahrensfehler sein kann. Wiederholungsanordnungen von Hochschulen seien vor diesem Hintergrund rechtlich zulässig.
Mit anderen Worten: alle Studierenden – unabhängig davon, wem eine Täuschung vorgeworfen wird – müssen die betreffende Prüfung wiederholen.
Aufgrund der voranschreitenden Digitalisierung lassen sich Ghostwriter für Onlineprüfungen kinderleicht finden. Ebenso macht moderne Technik das Schummeln zum Kinderspiel. Fehlt es dann sogar noch an (zulässigen) Kontrollmechanismen, sind Prüfungen im herkömmlichen Sinne eigentlich überflüssig.
Wir haben in den letzten Monaten bereits über Probleme bei Fernprüfungen berichtet. Es zeigt sich nun, dass die Rechtsprechung unseren Einschätzungen im Ergebnis folgt. Demgegenüber ist es unverständlich, dass die rechtlichen Probleme in einigen Fachbeiträgen und Zeitschriftenartikeln relativiert wurden. Der Umfang der Täuschungen wird leider teils immer noch nicht treffend erfasst.
Wiederholungsanordnung wegen identischen Lösungen
Nun zu der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder). In dem Fall entdeckten die Korrektoren viele identische Lösungen. Dies lässt auf ein unzulässiges Zusammenwirken von Studierenden schließen. Wahrscheinlich teilte jemand die Lösungen online. In Folge ordnete die Universität an, dass alle Teilnehmer die Klausur erneut ablegen müssen. Gegen diese Wiederholungsanordnung versuchte sich eine Studentin mit Hilfe von Eilrechtsschutz zu wehren.
Die Hinzuziehung von Ghostwritern und sonstigen Helfern offenbart sich übrigens nicht durch identische Lösungen. Wenn die Universitäten und Fachhochschulen nicht schnell reagieren, sind noch viele Prüfungen zu wiederholen. In den kommenden Monaten dürfte sich die Einsicht durchsetzen, dass die mit heißer Nadel ausgestalteten Prüfungsverfahren keine Rechtssicherheit gewährleisten.
Fehlende Prüfungsaufsicht bei Open-Book-Klausuren als Verfahrensfehler
Das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) erblickt bei der fehlenden Prüfungsaufsicht bei Open-Book-Klausuren einen Verfahrensfehler (VG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 11.05.2021 – 1 L 124/21).
Bei fehlender Aufsicht sei nicht gewährleistet, dass Fernklausuren überhaupt durch die hierfür angemeldeten Studierenden in Person abgeleistet werden. Weiterhin wäre es nicht möglich, verdeckte Gruppenarbeiten zu verhindern. Schummeln und Täuschen wird also bei Open-Book-Klausuren nicht effektiv unterbunden.
Dies führt dazu, dass der Grundsatz der Chancengleichheit verletzt ist. Weitere Informationen hierzu finden Sie in unserem Beitrag: Massenhafte Rechtsverstöße bei Online-Klausuren von Hochschulen
Das Gericht blendete in seiner Entscheidung noch den Umstand aus, dass Ghostwriting-Agenturen Online Klausuren inzwischen als lukratives Geschäft entdeckt haben. Auch hierüber haben wir in einem Beitrag bereits ausführlich berichtet: Unzulässige Hilfe Dritter bei Online Klausuren
Wiederholung der Open-Book-Klausur als Folge des Verfahrensfehlers
Das Verwaltungsgericht kam zu dem Schluss, dass die Wiederholungsanordnung der Universität rechtmäßig ist. Die Prüfung ist in einem solchen Fall komplett zu wiederholen. Die neue Prüfung muss natürlich prüfungsrechtlich unbedenklich sein.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die fehlende Aufsicht die Prüfung insgesamt betrifft. Deshalb kommt eine nur teilweise Wiederholung einzelner Prüfungsaufgaben nicht in Betracht kommt.
Wiederholung der Prüfung in kurzem zeitlichen Abstand
Hochschulen müssen die Prüfung möglichst schnell wiederholen. Auf diese Weise soll der Verlust von vorhandenem Wissen möglichst gering ausfallen. So soll der Nachteil für die Prüflinge immerhin begrenzt werden. Die Universitäten und Fachhochschulen dürfen sich also nur soviel Zeit lassen, wie für die Organisation einer Prüfungswiederholung zwingend erforderlich ist.
Trotzdem vergeht zwischen dem Prüfungstermin und einer Wiederholungsanordnung einige Zeit. Insoweit ist eine erneute Prüfung insbesondere für Studierende - die sogenanntes Bulimielernen betreiben - kein Grund zur Freude.
Lohnt es sich gegen die Anordnung einer Prüfungswiederholung vorzugehen?
Natürlich ist eine Wiederholungsanordnung ärgerlich, wenn man gelernt und eine Prüfung eigentlich bestanden hat. Wer eine Open-Book-Klausur nicht besteht, ist eher im Vorteil. Diejenigen können die Prüfung wegen Verletzung der Chancengleichheit anfechten. Tendenziell gibt es immerhin kaum digitale Open-Book-Klausuren ohne Aufsicht, die mit dem Grundsatz der Chancengleichheit vereinbar sind.
Vereinzelt gelingt es Hochschulen allerdings auch, die Chancengleichheit zu wahren.
Im Ergebnis kann es sich speziell bei schwierigen Klausuren lohnen, auch eine Wiederholungsanordnung anwaltlich prüfen zu lassen. Dies gilt insbesondere, wenn es sich um einen letzten Versuch handelt und die Prüfung eigentlich bestanden wäre.
Wir beraten bundesweit Studierende, die Schwierigkeiten mit Online-Prüfungen haben.